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Lebenskraft

Altern neu denken

Angesichts der bevorstehenden Renteneintrittswelle der Baby-Boomer wird sich der Fachkräftemangel in vielen Branchen weiter verschärfen. In Deutschland sind heute 22 Millionen Menschen 60 Jahre und älter, das ist mehr als jede*r Vierte. Bis 2035 wird das Erwerbspotenzial in Deutschland von 47,4 Millionen Menschen um 7,2 Millionen Menschen sinken. Bis 2060 voraussichtlich um weitere 8,9 Millionen Arbeitskräfte. Grund dafür ist der demographische Wandel. Was müssen Unternehmen tun, um auf dem Arbeitsmarkt von morgen bestehen zu können ?

Ein Großteil der Unternehmen bevorzugt bei der Einstellung junge Bewerber*innen gegenüber Älteren. Aus »gutem« Grund: Junge Menschen seien belastbarer, agiler, energetischer, günstiger; kurzum, für ein Unternehmen funktionaler. An Umstrukturierungen oder Anpassungen der Anforderungen für ältere, bereits im Unternehmen arbeitende, Menschen wurde in der Vergangenheit kaum gedacht. Und auch das Angebot für Umschulungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten auf dem heutigen Arbeitsmarkt fällt enttäuschend aus.

Unternehmensstrukturen sind von Altersdiskriminierung geprägt

Die Ausgrenzung älterer Menschen ist in der Arbeitswelt so allgegenwärtig, dass dieser Missstand von vielen Arbeitgeber*innen nicht reflektiert oder gar wahrgenommen wird. Das zeigt sich jüngst in den unternehmerischen Bestrebungen, dem Fachkräftemangel ausgerechnet mit der Erhöhung von Stellenausschreibungen entgegenzuwirken, anstatt jene so anzupassen, dass sich auch eine ältere Zielgruppe angesprochen fühlen könnte. Die Annahme, nur junge Menschen würden Innovationsfähigkeit mit in ein Unternehmen bringen, ist nicht mehr als ein Sophismus. Dass es sich bei solchen Annahmen lediglich um ein altersdiskriminierendes Narrativ handelt, das von den gegenwärtigen Strukturen der Arbeitswelt nicht nur aufrechterhalten, sondern sogar reproduziert wird, ist in vielen Unternehmen noch immer ein blinder Fleck. Und das, obwohl der Arbeitsmarkt auf das Einbeziehen der Generation 50+ angewiesen ist, um überhaupt zukunftsfähig bleiben zu können. Allerhöchste Zeit, mit diesem überholten Altersbild aufzuräumen und umzudenken.

Länger leben, länger arbeiten? 

Die Lebenserwartung in Deutschland steigt kontinuierlich. Das heißt: Unsere Gesellschaft wird immer älter. Bedeutet länger leben automatisch auch länger arbeiten? Tatsächlich wächst in Unternehmen, vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, zunehmend die Erkenntnis, dass das Potential der Generation 50+ unverzichtbar ist, um der aktuell drängenden wirtschaftspolitischen Herausforderung begegnen zu können. Mit der Zukunftsaussicht, länger als die Generationen vor ihnen arbeiten zu müssen, sind viele Erwerbstätigen unzufrieden. Jüngste Studien vom ddn (Das Demographie Netzwerk e.V.) ergaben, dass die Mehrheit in Deutschland spätestens mit 63 Jahren in Rente gehen möchte. Im Vergleich zu den Vorjahren ist die Bereitschaft, länger zu arbeiten, zwar etwas angestiegen, dennoch ziehen gerade einmal 15,8 Prozent der Erwerbstätigen in Betracht bis zum 67. Lebensjahr oder länger zu arbeiten.

Grundsätzlich könnte sich ein Großteil der Befragten durchaus vorstellen, dem Arbeitsmarkt länger als gesetzlich vorgeschrieben, erhalten zu bleiben – allerdings nur unter besseren Arbeitsbedingungen. Mit gesamtgesellschaftlich steigenden Lebenserwartungen wächst gleichzeitig die Sichtbarkeit unterschiedlicher Lebensphasen. Menschen im mittleren und höheren Alter fühlen sich jünger als die Geburtsjahrgänge vor ihnen. Waren gesellschaftliche Erwartungen wie Familienplanung und Hausbau noch vor 50 Jahren an einen expliziten und erwartbaren Zeitrahmen geknüpft, wird Altern in der heutigen Gesellschaft dank der Präsenz unterschiedlicher Lebensentwürfe individueller betrachtet. Zudem zeigen Studien zu Altersforschungen, wie groß die Unterschiede geistiger und körperlicher Verfassung von Menschen im hohen Alter sind. Während wir uns unter der Entwicklungsstufe eines 25-Jährigen etwas vorstellen können, lässt sich eine konkrete Einschätzung der Agilität eines 70-Jährigen schwer treffen. Wenn die Rede von alten Menschen ist, so reicht die Bandbreite von lernbegeisterten, fitten Personen über jene, die ihre Fähigkeiten und Wissen an Jüngere weitergeben wollen, bis hin zu denen, die zur Ruhe kommen und dadurch noch ganz andere Perspektiven entwickeln. Statt Altersgruppen sollten Unternehmen deshalb anfangen, Lebensphasen zu unterscheiden, um Beschäftigten ein altersgerechtes Arbeitsumfeld zu bieten. Die Implementierung von Arbeitsbedingungen, die an jeweilige Lebensphasen angepasst sind, ist die wohl wichtigste Maßnahme.

»In den Unternehmen wächst die Erkenntnis, dass ältere und erfahrene Beschäftigte zukünftig unverzichtbar sind. Generationsmanagement ist also Gebot und Herausforderung der Stunde !«

Martina Schmeink, Geschäftsführender Vorstand bei »Das Demographie Netzwerk e.V.«

Unternehmen unter Zugzwang

Für Unternehmen bedeutet das vor allem eins: Umstrukturierung. Das Erschaffen einer Unternehmensstruktur und -kultur, die alle Altersstufen berücksichtigt und mitdenkt, bietet die Chance, aktive Arbeitnehmer*innen länger im Berufsleben zu halten. Eine inklusivere Unternehmenskultur allein reicht jedoch nicht aus. Auf die Frage nach den Bedingungen, die erfüllt werden müssten, um Berufstätige auch nach einem möglichen Renteneintrittsalter im Job zu halten, gaben 41,1 Prozent an, ihre Arbeitszeit frei wählen zu wollen. Dass auch das Gehalt einen großen Faktor darstellt, zeigte die Forderung von rund 40 Prozent der Befragten nach mehr Gehalt. Für 38,7 Prozent war weniger körperliche Belastung oder Stress eine wichtige Bedingung. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Maßnahmen zur Gewährleistung eines altersgerechten Arbeitsumfelds eine ausgewogene Kombination aus Arbeitszeit, Gehalt und Arbeitsbelastung erfordern. Ferner stellt außerdem die Wertschätzung am Arbeitsplatz für 30,2 Prozent eine wichtige Voraussetzung dar, um weiterzuarbeiten. Dass Wertschätzung eine immer größer werdende Rolle spielt, spiegelt ein in der Arbeitswelt bisher nie dagewesenes Wertesystem wieder. Einkommen wird für viele nicht mehr ausschließlich monetär gedacht, sondern auch auf einer Ebene, die erlaubt, eine tiefere Verbindung zur eigenen Arbeit zu spüren. Buchautor Prof. Dr. Nico Rose nennt dieses Phänomen in unserem ZEIT Akademie-Kurs »Purpose – Arbeit mit Sinn gestalten« psychologisches Einkommen.

Nicht nur der gesundheitliche Zustand der Menschen verbessert sich stetig, sondern auch die Bedürfnisse und Anforderungen, die an das Arbeitsleben gestellt werden. Die Zahlen zeigen, dass Beschäftigte angepasste Anforderungen an Arbeitszeit, Gehalt und Arbeitsbelastung voraussetzen, um dem Arbeitsmarkt länger erhalten zu bleiben.

Baby-Boomer und Gen Z – von wegen Generationskonflikt

Der Arbeitsmarkt ist nicht mehr der, der um die Jahrtausendwende einmal war. Wirtschaftsaufschwung und geburtenstarke Jahrgänge, auch bekannt als Baby-Boomer, schafften einen satten Arbeitsmarkt, in dem eine zu hohe Arbeitsbelastung die Norm darstellte. Wie kurzfristig gedacht und wenig zeitgemäß dieser Zustand war und noch immer ist, zeigt sich in dem Wunsch vieler Berufstätiger, früher als gesetzlich vorgesehen in den Ruhestand gehen zu wollen. Die weit verbreitete Annahme, die sogenannte Generation Z wolle nicht arbeiten, widerlegten jüngste Studien des Demographie Netzwerks (ddn) zur Bedeutung von Arbeit. Zwar reichten die 62,8 Prozent der 18-29-Jährigen nicht an die angegebenen 86,8 Prozent der Altersgruppe über 65 heran, die angaben, Arbeit bedeute ihnen viel, zeigte aber dennoch, dass der Stellenwert von Arbeit auch bei einer Mehrheit der jungen Generation groß ist. Statt also die Strukturen eines Arbeitsmarktes aufrecht zu erhalten, die Berufstätige ausbrennen lässt, dafür aber die Möglichkeit in Kauf nimmt, sie gegebenenfalls früher aus dem Arbeitsmarkt zu entlassen, muss sich der Arbeitsmarkt transformieren. Das bedeutet, dass Arbeitsbedingungen so gestaltet werden müssen, dass Menschen auf ihrem beruflichen Werdegang durch agile Lernprozesse sowie Umschulungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten unterstützt werden, um ihnen ein nachhaltiges Berufsleben zu ermöglichen.

»Wir sehen in der Arbeitswelt eben keinen grundsätzlichen Generationenkonflikt. Stattdessen erleben wir viel Kooperation, Kollegialität und Solidarität. Diese Prinzipien müssen wir auch wieder in anderen Lebensbereichen stärken und die integrative Kraft der Arbeitswelt nutzen.«

Niels Reith, Vorstandsmitglied bei »Das Demographie Netzwerk e.V.«

Der in den Medien allgegenwärtige »Generationenkonflikt« ist nicht mehr als ein Euphemismus, um die altersdiskriminierende Gesellschaft zu rechtfertigen, in der wir leben. Ein angebliches Konfliktpotenzial zwischen Alt und Jung ließ sich durch jüngste Studien nicht nur widerlegen, sondern brachte Gegenteiliges hervor: So beschrieben Befragte, die zum Verhältnis unterschiedlicher Generationen im Erwerbsleben befragt wurden, das Klima zwischen Alt und Jung als weitgehend harmonisch, konfliktfrei und solidarisch. Eine Befragung durch alle Altersgruppen hindurch ergab: 81,8 Prozent der Befragten schätzten das Arbeiten mit älteren Kolleg*innen als positiv ein, dicht gefolgt von den Jüngeren, über die 76,4 Prozent aller Befragten angaben, das Arbeiten mit ihnen als positiv zu empfinden.

Alt und Jung profitieren in Unternehmen voneinander

Charakteristisch für das intergenerationale Arbeiten wurden mehrheitlich kooperative Verhaltensmuster wie die gegenseitige Unterstützung, das Teilen von Wissen und das Voneinander-Lernen beschrieben. Und genau das ist der Punkt, an dem Unternehmen ansetzen müssen. Zwar hat sich in den letzten Jahren in Sachen Diversitätsbemühungen seitens Unternehmen viel getan, Stand jetzt bezieht sich diese jedoch häufig ausschließlich auf Hautfarben, Ethnien oder Geschlechter. Das Berücksichtigen von Anforderungen für die Generation 50+ ist ein relativ neues Bestreben, das großes Potenzial birgt: Blickt man beispielsweise auf die Erkenntnisse des Neurowissenschaftlers Prof. Dr. Tobias Esch, zeigt sich, dass unterschiedliche Lebensphasen durchaus einen Sinn haben. Je nach Alter werden unterschiedliche Kräfte freigesetzt, die er in zwei »biologische Währungen« unterteilt:

 

In dem ZEIT Akademie Online-Kurs »Mehr Lebenskraft - Gesund und glücklich in der zweiten Lebenshälfte« zeigt Prof. Dr. Tobias Esch außerdem, dass die empfundene Zufriedenheit bereits ab dem Alter zwischen 40 und 50 Jahren stetig zunimmt. Das subjektive Glücksempfinden steigt, während objektive Daten wie zum Beispiel der Zustand des Körpers nachweislich schlechter werden. Kurz gesagt: Je älter wir werden, desto zufriedener werden wir. Die Erkenntnisse des Neurowissenschaftlers zeigen beispielhaft, dass verschiedene Generationen in der Arbeitswelt hervorragend miteinander auskommen können. Basierend auf der Forschung von Esch lässt sich eine der vielen Thesen formulieren, die für das Potenzial der Zusammenarbeit zwischen Jung und Alt spricht. Während Berufseinsteiger*innen aufgrund von fehlender Arbeitserfahrung oft von Zweifel und Unsicherheit geplagt sind, ist es die Generation 50+, die sich von Herausforderungen am Arbeitsplatz nicht mehr so schnell aus der Ruhe bringen lässt. Es entsteht eine Balance aus neuen Ideen und gewohnten Prozessabläufen, Naivität und Sicherheit, keiner Erfahrung und langjähriger Erfahrung. Diese Wechselseitigkeit muss seitens der Unternehmen gesteuert werden.

Next steps: Das müssen Unternehmen jetzt tun, um zukunftsfähig zu bleiben

Um den Anforderungen der Arbeitswelt von morgen begegnen zu können, müssen Unternehmen ein Generationsmanagement implementieren. Ein unternehmensinternes Generationsmanagement wird sich zum einen auf das Unternehmensklima auswirken, zum anderen der Innovationsfähigkeit des Unternehmens helfen und letztendlich dafür sorgen, dass Branchen trotz Fachkräftemangel zukunftsfähig bleiben können. Im ersten Schritt bedeutet das die Entwicklung eines soziokulturellen Verständnisses für unterschiedliche Generationen, um die Fertigkeiten einer Generation nicht als Defizit der anderen Generation zu bewerten. Im zweiten Schritt bedeutet es Umstrukturierung, Anpassung und Veränderung. Arbeiten muss als holistischer Prozess verstanden werden, der nur unter Einbeziehung aller Altersstrukturen gelingen kann. Dafür ist der Wille zur Veränderung erforderlich und besonders wichtig sind Zuversicht und Zusammenhalt.

ZEIT AKADEMIE

Zuversicht

Die Kraft unserer inneren Haltung

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